Ist niedriger Blutdruck eine typisch Deutsche Diagnose? Krankheitsbilder die Lynn Payer einst aufgriff werden hier in Zwei Artikel (Auszüge) weiter analysiert.

Das liebe Herz

Wie man in Deutschland krank ist »

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Das liebe Herz

Des Deutschen Herz hängt am Herzen. Die sorgende Liebe zum Hohlmuskel geht vermutlich auf den lang anhaltenden Einfluss der deutschen Romantik und ihre Vorstellung eines ganzheitlich lebenden Organismus zurück. Dabei gebären die Veranlagung zur Romantik und ein effizienzorientiertes Ordnungsstreben hierzulande einen herrlichen Widerspruch: den der kontrollierten Emotionalität. Das Herz wird ja nicht, wie in Amerika, als Pumpe, als stockender oder laufender Motor verstanden. Es ist ein eigenwilliges Organ, subversiver Regungen fähig. Es ist Sitz des Gefühls und trägt metaphorische Bedeutung. Die Deutschen, resümiert die amerikanische Medizinjournalistin Lynn Payer ihre langjährigen Beobachtungen, schöben alle Unsicherheiten und Ängste aufs Herz.

In Deutschland seien niedriger Blutdruck und Schwindelgefühle diagnosereif, in England gälten sie, bisweilen etwas belächelt, als German disease. Die Deutschen, schreibt Payer in ihrem Buch Andere Länder, andere Leiden, nähmen prozentual sechsmal so viele Herzmedikamente wie Franzosen oder Engländer ein; deutsche Ärzte diagnostizierten Herzinsuffizienz aufgrund von Indizien, bei denen kein Arzt im leberlabilen Frankreich, im verdauungshysterischen England oder hygieneverrückten Amerika auch nur im entferntesten ans Herz denken würde; in Deutschland gibt es die meisten Bypass-Operationen.

Ein Blick in die Krankheitskulturgeschichte Europas zeigt rasch: Jedes Land hat seine Verlegenheitsdiagnose. In Deutschland ist das Herz die Hülse fürs Unerklärbare. So klang einst der alte Befund "Vegetative Dystonie" in den 60er und 70er Jahren ebenso ernsthaft wie nebulös-romantisch. Die krankhafte Sorge ums Herz ist, gemessen an der deutschen Freude am Vermessen, Regulieren und exakten Definieren, eine reizvoll sympathische Schwäche. Weil Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Todbringer Nummer eins akzeptiert sind, ist diesbezüglich von einer Wachsamkeit zu berichten, die viel mit einem urdeutschen Phänomen zu tun hat: der großen Angst vor dem bösen Cholesterin.

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Was es heißt, wenn solch drastische Relativ- statt der kaum auffälligen Absolutprozente genommen werden, führt Ingrid Mühlhauser, Professorin für Gesundheit an der Universität Hamburg und Streiterin für Patientenaufklärung, an einem anderen Paradebeispiel aus: der Angst vor dem Brustkrebs. "Es heißt aus den Forschungslabors von Universitäten und dann in den Medien, durch das Mammografie-Screening gebe es 25 Prozent weniger Brustkrebstote pro Jahr. Jeder denkt nun: 25 von 100 Frauen. In Wirklichkeit aber sterben von 1000 Frauen, die über zehn Jahre an einem Screening teilnehmen, während dieser Zeit drei. Von 1000 Frauen, die nicht teilnehmen, sterben vier. Das heißt: in zehn Jahren eine Tote weniger. Drei im Verhältnis zu vier Toten sind, relativ gesehen, 25 Prozent. Gerechnet auf den absoluten Wert von 1000 Frauen aber, bedeutet eine Tote nicht 25, sondern 0,1 Prozent. "Von 1000 Frauen mit Mammografie-Früherkennungsuntersuchungen über 10 Jahre haben 999 Frauen keinen Nutzen, da sie auch ohne die Untersuchung nicht an Brustkrebs gestorben wären oder zu den drei gehören, die trotz der Untersuchung an Brustkrebs sterben."

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Sind vergleichende Relativangaben wie 25 und 30 Prozent bewusste Desinformation über den tatsächlichen Nutzen für den Patienten? Kalkulierte Irreführungen durch die Pharmaindustrie? Industriell gesteuerte Falschaussagen? Dazu gab es jüngst zwei interessante Bücher von Medizinjournalisten - Was hab ich bloß? von Werner Bartens und Die Krankheitserfinder von Jörg Blech. Deren These lautet, kurz gesagt: Viele normale Prozesse des Lebens sowie normale Verhaltensweisen würden von der Pharmaindustrie neu definiert und als krankhaft dargestellt; global operierende Konzerne sponserten die Erfindung ganzer Krankheiten und Behandlungsmethoden und schüfen ihren Produkten neue Märkte.

So würde zum Beispiel ein willkürlicher Grenzwert für Cholesterin festgelegt und durch entsprechende Lobbyverbände die Mehrheit der Deutschen zu lebenslangen Risikopatienten erklärt. Unter dem Namen "Cholesterin-Lüge" löste das jüngst einen veritablen Streit über zurechtgebogene Statistiken, unseriöse Studien und panikisierende Medien aus. Diagnose: Gehirnwäsche durch die Anti-Cholesterin-Industrie. Blech schreibt: "Roche Diagnostics stellt Geräte zum Cholesterinmessen her. Kardiologen bekommen neue Patienten, denen sie den Verzehr von Butter ausreden - was dem Hersteller der Margarine Becel hilft. Pfizer schließlich setzt weltweit Milliarden Euro mit Medikamenten um, die den Cholesterinspiegel senken." Resümee: Selten sei eine medizinische Kampagne, welche die Mehrheit eines ganzen Volkes zu Patienten stempelt, mit solchem Marketingaufwand vorangetragen worden. Die Legende vom bösen Cholesterin scheint selbst böse zu sein. Bei entsprechend differenzierter Feindiagnostik hätten die meisten nichts zu befürchten. Der sinnlose Dauer-Check-up-Terror, die Rasterfahndung nach erhöhtem Bluthochdruck, die Angstmacherei der Knochenlobby vor Knochenschwund: All diese "Märchen der Medizin" finden auf wundersamem Wege zusammen mit der harschen Systemkritik des Doktor Jonitz.

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[Quelle: Wie man in Deutschland krank ist … Christian Schüle; DIE ZEIT vom 08.01.2004]


Und Krank sein ist ja eh kein Vergnügen. Ein paar gute Genesungswünsche die von Herzen kommen, können dabei manchmal auch helfen.


Cholesterin: die Wissenschaft vergiftet » Wie ein Risikofaktor entsteht

"[…] Den Cholesterin-Gegnern kam zugute, dass der Cholesterinspiegel mit dem Alter ansteigt und dass gewöhnlich mehr alte als junge Menschen an Herz- und Gefäßerkrankungen sterben. Zudem weist ein Teil der Infarktpatienten hohe Cholesterinwerte auf. Damit schien die Argumentationskette perfekt: Wer zuviel Cholesterin isst, hat zuviel davon im Blut und stirbt eher am Infarkt. Soweit die Theorie.

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Unser Cholesterinspiegel steigt im Laufe des Lebens an - egal, was wir essen. Während der durchschnittliche Wert bei jungen Menschen um die 200 mg% schwankt, zeigen die meisten Fünfzigjährigen einen Cholesterinpegel von 250, und bei Siebzigjährigen können Werte von knapp 300 völlig normal sein. (4) Davon unbeeindruckt haben die diversen Herz-Gesellschaften der Industrienationen immer wieder Normwerte für alle festgelegt, zuletzt im Oktober 2000. (3) Während früher landläufig die alte Faustregel "200 + Lebensalter" galt, drückte man den als "normal" angesehenen Cholesterinwert über die Jahre immer weiter nach unten. Zur Zeit liegt er bei 200 mg%, also beim Level der unter 25jährigen. Das ist schon deswegen unsinnig, weil jeder Mensch einen eigenen, individuellen Cholesterinwert hat, der je nach Alter, Jahreszeit, Hunger, Stress, Geschlecht, körperlicher Aktivität, Tageszeit, Klima, Hormon- und Gesundheitszustand variiert. (5, 6)

Das statistische Risiko für einen Herzinfarkt steigt zwar mit dem Cholesterinspiegel an, (7, 8) die allermeisten Infarkte "passieren" jedoch bei völlig unauffälligen Blutcholesterinwerten. (1) Was soll da ein Wert für alle? Mit dem niedrig angesetzten "Normalwert" von 200 mg% hatten aber rund 80% der deutschen Männer plötzlich einen "Risikofaktor", der sie zu potentiellen Infarktkandidaten machte. Selbstverständlich wurden die Werte auch gleich auf den weiblichen Teil der Bevölkerung angewendet - obwohl es für Frauen überhaupt keine Daten gab. (9)

Diese Zahlenspielereien lassen den wahren Hintergrund derartiger "Präventions-Maßnahmen" erahnen: Da die Mehrheit der Bevölkerung per Definition zu Patienten gemacht werden konnte, ließ sich mit dem "Normalwert" eine Menge Geld verdienen. Schließlich halten die meisten "Patienten" ihre magere Diät auf Dauer nicht durch oder sie bewirkt nichts. Und Cholesterin senkende Medikamente sind teuer.
So gesehen ist es kein Wunder, dass sich die Nahrungscholesterin-Verteufler durchgesetzt haben. Doch wie kommt es, dass die Kritiker der Cholesterin-Hypothese so wenig Gehör fanden? Ein schwedischer Wissenschaftler ging dieser Frage nach: Er durchforstete die wissenschaftlicher Literatur und fand heraus, dass jene Studien, die die Cholesterin-Verteufelung unterstützten, sechsmal häufiger zitiert wurden als Studien, die nicht in dieses Weltbild passten - obwohl ihre Anzahl etwa gleichgroß war. (10) So wird aus einer wackeligen Hypothese eine wissenschaftliche Tatsache."
Quelle: CHOLESTERIN - DIE WISSENSCHAFT VERGIFTET … Ulrike Gonder

 


 

Eine Auswahl von sehr guten Arztwitzen für Kollegen, Kurpfuscher & Quacksalber & Scharlatane.

 

 

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